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Bei der Unia geht der interne Streit weiter
Nach dem Streik in der Berner Unia-Sektion will das Personal nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Es fordert eine «Unia von unten» und wehrt sich gegen die autoritäre Haltung einzelner Funktionäre.
Mitte Februar hatten bei der Gewerkschaft Unia 40 Mitarbeitende der Sektion Bern von der Unia-Führung verlangt, die Absetzung ihres Chefs sowie die Verwarnung eines Mitglieds der Personalkommission zurückzunehmen. Am 11. März teilten die Unia-Verantwortlichen mit, dass die Vermittlung bis zum 25. März fortgeführt werde. Auf Nachfrage des TA wollten sie nicht mehr sagen. Die Mitarbeitenden schweigen loyal mit, weil sie die Vermittlungsbemühungen nicht gefährden wollen.
Dabei hätten sie Grund zur Freude. Ihre Forderungen sind grösstenteils erfüllt worden: Die Verwarnung des Personalvertreters wurde ebenso zurückgenommen wie die Versetzung des Berner Sektionsleiters Roland Herzog. Dessen künftige Funktion sei indes noch nicht geklärt.
Nationale Auseinandersetzung
Doch den Streikenden und all jenen, die sich mit ihnen solidarisiert haben, reicht das nicht. Aus ihrer Sicht geht es nicht um persönliche oder regionale Probleme, sondern um eine Auseinandersetzung von nationaler Tragweite, heisst es in einem im Internet veröffentlichten Papier (www.aufbau.org).
Die Protestierenden verlangen eine Demokratisierung der Gewerkschaft, eine «Unia von unten». Dem steht die erklärte Absicht der Unia-Führung diametral entgegen: «Diese will die Gewerkschaft in eine straff geführte Organisation umkrempeln, in der Überzeugung, dass nur so die Krise zu überwinden sei, in der sich die Arbeitnehmerverbände seit längerem befinden», erläutert der Soziologe Peter Streckeisen von der Universität Basel. Doch anstatt das Personal von der Notwendigkeit einer Reorganisation zu überzeugen, bedient sich die Unia-Führung laut Streckeisen «neoliberaler Management-Konzepte und setzt diese auf unglaublich autoritäre Art und Weise um».
Das Personal hat die Grundlage für eine starke Unia zu erarbeiten: eine möglichst hohe Mitgliederzahl. Die Zielvorgaben für die einzelnen Mitarbeitenden seien jedoch so hoch, dass sie auf Dauer gar nicht zu bewältigen seien. Fazit: «Viele geben auf», wie Jörg Studer, Präsident der Unia Nordwestschweiz, feststellt. «Die Personalfluktuation in der Unia ist sehr hoch.»
Neu sei das autoritäre Verhalten eines Teils der Unia-Führungscrew nicht; «neu ist aber», so Peter Streckeisen, «dass das Personal sich dagegen wehrt». Und dass es den Protest auch an die Öffentlichkeit trägt. Dabei sind sich die Unia-Sekretäre sehr wohl bewusst, dass dies der Institution Gewerkschaft schaden könnte. Es gehe aber um die Glaubwürdigkeit der Unia, sagen Protestierende. Um die Glaubwürdigkeit einer Gewerkschaft, die nach innen etwas ganz anderes praktiziere, als sie nach aussen postuliere.
Ungerechtfertigte Verwarnung
Dazu ein Beispiel: Während die Unia immer wieder einen besseren Schutz für die innerbetrieblichen Personalvertreter fordert, scheinen einzelne Funktionäre diesen Schutz im eigenen Haus mit Füssen zu treten. Davon zeugt die Verwarnung gegen den Co-Präsidenten der Unia-Personalkommission. Ihm wurde unter anderem vorgeworfen, er sei ohne Erlaubnis seiner Arbeitgeberin während der Arbeitszeit als Zuschauer an einem Prozess vor dem Zürcher Arbeitsgericht erschienen.
Beim Prozess ging es um die umstrittene Entlassung eines ehemaligen Unia-Sekretärs. Nur: Personalvertreter brauchen keine Erlaubnis ihrer Vorgesetzten, um tätig zu werden. Auch ist es ihnen per Gesetz ausdrücklich erlaubt, ihre Aufgaben während der Arbeitszeit zu erledigen.
Die erwähnte Verwarnung ist nicht die einzige Disziplinierungsmassnahme der jüngsten Zeit. So ist aus der Region Zürich-Schaffhausen zu vernehmen, dass eine Mitarbeiterin verwarnt wurde, die nicht an einer Retraite teilgenommen hatte. Die Retraite fand an ihrem arbeitsfreien Tag statt, an dem die Angestellte eine Weiterbildung besuchte.
«Lächerliche Tatbestände erfunden»
In derselben Region habe es allein von Dezember bis Februar «sechs fragwürdige schriftliche Ermahnungen» (Vorstufe zur Verwarnung) gegeben. Es würden «lächerliche Tatbestände erfunden, um Ermahnungen und Verwarnungen zu begründen», erinnert sich der Basler Hanspeter Gysin, der bis zu seiner Frühpensionierung 2007 die Unia-Personalkommission präsidierte. Bereits damals habe es Dutzende solcher Fälle gegeben; oft habe er interveniert – chancenlos. Zahlreiche Gewerkschafter wurden entlassen, gewehrt habe sich keiner. Die Aussicht, in einen jahrelangen Rechtsstreit mit der Unia verwickelt zu werden, habe sie davon abgehalten, erklärt Gysin.
Zu den Vorwürfen will die Unia unter Verweis auf die derzeitige Vermittlung nicht Stellung nehmen. Doch im Hintergrund rufen einzelne Funktionäre zum Gegenschlag auf. In einem ebenfalls an die Öffentlichkeit gelangten Mail appelliert Roman Burger, Leiter der Region Zürich-Schaffhausen, an das Unia-Präsidium, eine klare Linie und Entschlossenheit gegenüber dem protestierenden Personal zu zeigen. Insbesondere sollen den Protestierenden keine Infrastruktur und keine Arbeitszeit zur Verfügung gestellt werden. Damit hat eine der zentralen Figuren innerhalb der Unia unmissverständlich klargemacht, was sie vom Protest des Personals hält.
Doch auch die Basis gibt sich entschlossen: «Wenn die‹Unia von unten› nicht gestärkt wird, ist dies das Ende der Gewerkschaft», sagt der Nordwestschweiz-Präsident Jörg Studer.
Von Andrea Fischer. Aktualisiert um 08:57 Uhr |
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