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Berner Zeitung 2.5.03
Nachdemo vor der Ruag gestoppt
Die Berner Nachdemo zur 1.-Mai-Kundgebung richtete sich gegen den Rüstungsbetrieb Ruag. Als rund 300 Demonstranten versuchten auf das Firmengelände vorzudringen, setzte die Polizei Wasserwerfer ein. Pascal Schwendener
«Völker, hört die Signale! Auf zum letzten Gefecht! Die Internationale erkämpft das Menschenrecht.» Die letzte Strophe der Internationalen verhallt über dem Kornhausplatz. Die offizielle 1.-Mai-Kundgebung löst sich auf. Während die Gewerkschafter still zum traditionellen Risottoessen schreiten, ertönt beim Restaurant Les Pyrénées schon der Aufruf der Linksautonomen zur Nachdemo. Kämpferische Töne auch hier: «Heute ist der Tag des Widerstandes gegen die Ausbeutung des Kapitalismus», krächzt es aus dem Megafon. «Und heute ist auch der Tag des Widerstandes gegen den Krieg.»
1. April und 1. Mai Das Ziel der 300 bis 400 meist jugendlichen Demonstranten ist der bundeseigene Rüstungskonzern Ruag im Wyler. Dort wollen die «radikalen Waffeninspektoren» eine Waffeninspektion durchführen und den Konzern für einige Zeit blockieren. Wie das «1.-April-Komitee», das vor einem Monat einen Brandanschlag mit Molotowcocktails auf den Betrieb verübte, will auch der «1.-Mai-Umzug» gegen die Waffenlieferungen der Ruag an kriegstreibende Armeen wie jene im Irak-Krieg demonstrieren. «Schweizer Waffen, Schweizer Geld morden mit in aller Welt» skandieren die Demoteilnehmerinnen und -teilnehmer, verhalten sich sonst aber erstaunlich ruhig. Der gefürchtete «schwarze Block» sei an die Nachdemo nach Zürich gereist, heisst es. Und so verläuft der Umzug über den Breitenrainplatz Richtung Wyler laut Polizeisprecher Franz Märki friedlich. Er stellt nur «ganz wenig Sprayereien und keine Sachbeschädigungen fest». Als dann der Demozug allerdings die von der Polizei vorgegebene Route zum Wylerbad erlässt und direkt über die Eisenbahnbrücke auf die «Waffenschmiede» zusteuert, stellt sich ihnen ein Kordon von rund dreissig Grenadieren der Kantonspolizei entgegen. Aber die Demonstranten lassen sich nicht von ihrem Weg abbringen. Zweimal drängen sie weiter. Zweimal macht die Polizei ihnen nach kurzem Handgemenge und einem Wasserwerfereinsatz Platz. Dann aber macht Einsatzleiter Alfred Rickli klar, dass die «letzte Front», zwanzig Meter vor dem Zaun der Ruag, erreicht sei und eingehalten werden müsse. Andernfalls brächten seine Leute Reizgas zum Einsatz.
«Waffenexporte stoppen» Die Demonstranten akzeptieren. Und während sie ihre Kleider zum Trocknen auslegen und die Grenadiere ihnen gegenüber in der Vollmontur schwitzen, darf ein halbes Dutzend «Waffeninspektoren» im weissen Overall das Haupttor der Waffenfabrik inspizieren und es mit «der längsten Friedensfahne der Schweiz» versiegeln. Derweil prangert GSoA-Aktivist Nico Lutz über Lautsprecher die «opportunistische Politik des Bundesrates» in Sachen Waffenexporten an. «Die Schweiz muss aufhören, Kriegsmaterial für den nächsten Krieg zu produzieren», fordert er. «Und die Ruag muss auf zivile Produktion umstellen.»
Polizei vermisst Schilde Um zwei Uhr löst sich die Demo auf. Die letzten Aktivisten machen sich auf der Standstrasse Richtung Reitschule und Bahnhof auf. Doch in der Lorraine werden sie nochmals von der Polizei eingekesselt. Die rund fünfzig Beamten fordern «die beiden Schutzschilde» zurück, die ihnen im Handgemenge abhanden gekommen seien. Doch die Schilde bleiben verschwunden. Erst nach erfolgloser Suchaktion und einer wenig erfolgreichen «Kollekte» unter den Demonstranten findet die Polizei ihre Schilde schliesslich selber in einer Nebengasse und rückt ab. |
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Friedliche «Inspektion» des Rüstungsbetriebs
Ein Demonstrationsmarsch von Gruppen rund um die Anti-WTO-Koordination zur Rüstungsfirma Ruag im Berner Nordquartier verlief überraschend friedlich
Die Demonstrationsroute war genehmigt, die Polizei gut gerüstet. Der Wasserwerfer kam zwar kurz zum Einsatz, doch der jugendliche Protest gegen die Ruag eskalierte nicht, sondern wurde zum regelrechten Happening.
• MARKUS DÜTSCHLER
Beobachter blickten der Blockade des Rüstungsbetriebs Ruag im Berner Nordquartier besorgt entgegen, hatten doch vor einigen Wochen militante Kriegsgegner auf dem Firmengelände Autos angezündet. Auch wurde befürchtet, die an die gewerkschaftliche Mai-Kundgebung auf dem Kornhausplatz anschliessende «Nachdemo» könnte nach Zürcher Manier ausarten. Die Blockade galt nach den Scharmützeln beim Friedenscamp vor einer Woche als zweiter Test für die Noch-Interims-Polizeidirektorin Ursula Begert.
Zum Klang von Partisanenliedernzogen die 300 bis 400 meist Jugendlichen gut gelaunt in Richtung Breitenrain. Über Lautsprecher wurde erklärt, dass die Ruag Waffen produziere, die in Kriegs- und Krisengebieten eingesetzt würden. An den Fassaden längs der Route hingen noch immer die Friedensfahnen, die den Irak-Krieg hätten verhindern sollen. Die Polizei war stets in Sichtweite präsent.
Brenzlige Minuten auf Brücke
Dort, wo die Stauffacherstrasse die Bahngleise überquert, schnitten Kantonspolizisten den Marschierern den Weg ab, was diese mit dem Ruf quittierten: «Schweizer Polizisten schützen Terroristen.» Laut Abmachung sollte das Firmengelände via Scheibenstrasse Wylerbad erreicht werden. Für kurze Zeit sah es brenzlig aus, auch wenn es aus dem Pulk tönte: «Wir wollen nicht kämpfen, nur durchlaufen.» Die Polizei bestand auf der offiziellen Route. Die Fronten standen sich auf der Brücke gegenüber, während unten Züge durchfuhren. Langsam, aber stetig drückte die Menge gegen den Polizeikordon. «Keiner wirft was, ruhig bleiben», riefen Jugendliche. «Ruhig bleiben», mahnte ein Polizist seine Leute. Um 12.45 Uhr kam ein Wasserwerfer zum Einsatz. Die Jugendlichen duckten sich unter den Transparenten. Zu einer Eskalation kam es nicht. Anton «Fashion» Schumacher und andere redeten auf die Polizei ein, die Leute durchzulassen, es passiere gar nichts. Dann durchbrach die Menge den Gürtel, worauf sich die Beamten vor der Ruag neu formierten. Bei einem weiteren Vordringen drohte die Einsatzleitung mit Tränengas. Dazu kam es jedoch nicht.
Eine Delegation in weissen «UN»-Inspektionsanzügen durfte an der Aussenseite des Ruag-Tors eine Friedensfahne anbringen und eine symbolische Waffenkontrolle durchführen, was Ruag-Angestellte während der Rauchpause erstaunt und belustigt beobachteten. Einige Jugendliche zogen die nassen Shirts zum Trocknen an der Maisonne aus, andere verpflegten sich beim Demo-Bus mit Tee und Sandwiches. Mädchen und Buben mit Zahnspangen teils nur 11- oder 14-jährig verwickelten die Beamten in Diskussionen über die Welt oder den Sinn ihres Einsatzes. Zu Scharmützeln oder Sachbeschädigungen kam es aber nicht.